Alexander Hiersche
Partner bei Haslinger / Nagele Rechtsanwälte. Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind Kartell- und Beihilfenrecht; er ist Autor zahlreicher Fachpublikationen.
Das digitale Kartell – neue Herausforderungen durch Algorithmen?
Künstliche Intelligenz ist keine Zukunftsfantasie. Vielmehr sind selbstlernende Maschinen schon jetzt in verschiedensten Bereichen im Einsatz, um unseren Alltag zu vereinfachen oder geschäftliche Prozesse effizienter zu gestalten. Doch Computer-Programme können auch verwendet werden, um wettbewerbsbeschränkende Handlungen zu erleichtern oder gar zu setzen.

Clever designte Programme (Algorithmen) können menschliches Verhalten analysieren, davon lernen und sich anpassen. Buchen Sie einen Transport mit Uber, ein Hotel über eine Online-Buchungsplattform oder kaufen Sie Produkte über Amazon Marketplace, wird der exakte Preis für die Leistung regelmäßig durch einen mehr oder weniger komplexen Algorithmus automatisch berechnet. Je nach Programmierung können die in die Software eingespeisten Algorithmen Faktoren wie Angebot und Nachfrage bis hin zu Ihrer persönlichen Zahlungsbereitschaft (evaluiert aufgrund Ihrer sonstigen Kaufgewohnheiten und/oder des von Ihnen benutzten Endgeräts) berücksichtigen.
Daneben können Algorithmen aber noch vieles mehr, etwa die Angebote von Mitbewerbern abgleichen und den Preis der eigenen Produkte daran anpassen. Wettbewerbsrecht und -politik werden durch diese Entwicklungen in mehrfacher Hinsicht herausgefordert.
Rechtliche und faktische Herausforderung
Werden derartige „Tools“ bloß verwendet, um verbotene Absprachen besser umzusetzen, so stellt dies noch keine konzeptuelle Herausforderung für das Wettbewerbsrecht dar. Als in den USA ein Unternehmen mit Mitbewerbern die Preise für bestimmte Poster, die über die Handelsplattform Amazon verkauft werden sollten, abstimmte, und sodann einen Algorithmus zur Preisfindung programmierte, der die abgestimmten Preise berücksichtigte, lag der Rechtsverstoß aufgrund der nachgewiesenen Absprache auf der Hand (DoJ, USA v Topkins; vergleichbare Verfahren sind derzeit in Großbritannien anhängig). Die Software diente lediglich als Mittel zur Umsetzung der verbotenen Absprache. Gehen Unternehmen aber verdeckter vor und verwenden sie schon für die Abstimmung subtilere elektronische Mittel, stehen Wettbewerbsbehörden möglicherweise vor Beweisproblemen. So etwa, wenn für den Nachweis einer verbotenen Verhaltensweise erst der Algorithmus einer Software entschlüsselt werden müsste.
Immer ausgereiftere Methoden zur Überwachung und Analyse des Wettbewerbsverhaltens der übrigen Marktteilnehmer, die eine Prognose über deren künftige Verhaltensweisen […] könnten Abstimmungen zwischen Wettbewerbern jedoch überflüssig machen.
Auf konzeptueller Ebene stellt sich die Frage nach der Bewertung von Praktiken, die die “Koordinationsanfälligkeit” des betreffenden Marktes erhöhen. Während der zumindest zweiseitige Austausch über das Wettbewerbsverhalten verboten sein kann, ist eine einseitige Marktbeobachtung bislang jedenfalls zulässig. Immer ausgereiftere Methoden zur Überwachung und Analyse des Wettbewerbsverhaltens der übrigen Marktteilnehmer, die eine Prognose über deren künftige Verhaltensweisen erlauben oder aber eine qua Automation sekundenschnelle Reaktion auf das Verhalten des Mitbewerbers gestatten, könnten Abstimmungen zwischen Wettbewerbern jedoch überflüssig machen.
Die Möglichkeiten gehen aber noch weiter: In ihrem kürzlich erschienenen Buch „Virtual Competition“ erörtern der Oxford-Professor Ariel Ezrachi sowie der Assistenz-Professor an der University of Tennessee Maurice Stucke, dass von Unternehmern programmierte Algorithmen ohne weiteren Eingriff des Menschen durch eigene Erfahrungen (Reaktion der übrigen Marktteilnehmer auf bestimmte Verhaltensweisen) autonom zu dem Schluss gelangen könnten, dass die beste Strategie zur Gewinnmaximierung in einem kollusiven Verhalten liegt. Diesfalls läge zwar eine (grundsätzlich verbotene) Abstimmung wettbewerblichen Verhaltens vor, doch stellte sich die Frage der Zurechnung.
Angesichts dieser Entwicklungen erscheint die Frage nicht unberechtigt, ob das aktuelle Wettbewerbsrecht den Herausforderungen zunehmender Digitalisierung gerecht wird. Müssen bestehende Regeln bloß den neuen Umständen angepasst werden, oder sollten die Regeln an sich überdacht werden?
Hinweis: Dieser Beitrag erschien am 24.04.2017 in der Tageszeitung Die Presse.
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