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Wettbewerbsrecht 4.0 – The Enforcers Awaken

von Alexander Hiersche | 07.08.2018

In den letzten Wochen wurde deutlich, dass der Vollzug des Wettbewerbsrechts vor der digitalen Wirtschaft nicht halt macht: Die Europäische Kommission verhängte eine weitere Rekordgeldbuße über Google, das Bundeskartellamt startete mit der französischen Wettbewerbsbehörde eine Untersuchung zu Algorithmen im Wettbewerbsrecht, die niederländische Wettbewerbsbehörde analysierte den Markt für App-Stores und zusehends mehren sich Fälle, in denen die Umsetzung wettbewerbswidriger Verhaltensweisen digital erfolgt. Ein Überblick über die aktuellen Entwicklungen:

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Wettbewerbswidrige Vereinbarungen

Das Bundeskartellamt und die französische Wettbewerbsbehörde (Autorité de la concurrence) gaben Ende Juni bekannt, eine gemeinsame Untersuchung zu „Algorithmen und deren Auswirkungen auf den Wettbewerb“ zu starten. Das Projekt folgt einer Kollaboration der beiden Wettbewerbsbehörden zum verwandten Thema Wettbewerbsrecht und Daten, deren Ergebnisse bereits im Mai 2016 veröffentlicht wurden. Anlass für die aktuelle Untersuchung ist die zunehmende Bedeutung von Algorithmen, insbesondere Preisalgorithmen zu Matching- und Ranking-Zwecken (Algorithmen mit „Echtzeit-Funktionalitäten“), im wirtschaftlichen Verkehr. Ziel der Untersuchung ist es, Erkenntnisse über die Funktionsweise der Algorithmen und mögliche konzeptionelle Ansätze für den Umgang mit ihnen zu finden.

Indessen mehren sich auch bereits „echte“ Fälle, in denen Algorithmen eine zentrale Rolle bei der Umsetzung möglicherweise wettbewerbswidriger Verhaltensweisen spielen: So nutzten jene vier Elektronikhersteller, über die die Europäische Kommission Ende Juli diesen Jahres Geldbußen in Höhe von EUR 111 Mio wegen angeblicher Abstimmung ihrer Online-Verkaufspreise verhängte, laut Pressemitteilung „hochentwickelte Überwachungsinstrumente [, um] die Wiederverkaufspreisbildung im Vertriebsnetz [zu] verfolgen und im Falle von Preissenkungen rasch eingreifen“ zu können.

Ein konzeptionell herausfordender Fall wird aus Frankreich berichtet: Untersucht wird, ob die Verwendung ein- und desselben Preisalgorithmus für den Verkauf von Autoteilen durch fünf führende Autohersteller eine unzulässige Verhaltensweise darstellt. Der gegenständliche Algorithmus (mit dem Namen „Partneo“) wurde von einem Drittunternehmen zur Preismaximierung entwickelt und, so heißt es, von diesem Drittunternehmen potenziellen Interessenten gerade auch unter Hinweis auf die erfolgreiche Gewinnentwicklung bei jenen Mitbewerbern, die Partneo bereits einsetzten, beworben. In der Literatur werden derartige Konstellationen schon länger unter dem Schlagwort „algorithm-fuelled hub & spoke“ ((c) Ezrachi / Stucke) kontrovers diskutiert. Es dürfte sich um den ersten praktischen Anwendungsfall handeln. Der Ausgang ist noch ungewiss und wird auch maßgeblich von den konkreten Sachverhaltsfeststellungen abhängen.

Jedenfalls einen positiven Ausgang nahm ein Ermittlungsverfahren der luxemburgischen Wettbewerbsbehörde (Conseil de la concurrence) im Fall Webtaxi: Hier ging es um eine „Uber-artige“ Buchungsplattform (App) für Taxis, die allerlei Annehmlichkeiten für Verbraucher brachte, allerdings auch eine Preisabsprache der teilnehmenden Taxidienste umfasste. Nach Ansicht der Behörde war für dieses klar wettbewerbsbeschränkende Element jedoch eine sogenannte Einzelfreistellung aufgrund überwiegender Effizienzen geboten, was so selten ist, dass hierüber zu einem späteren Zeitpunkt noch ein gesonderter Beitrag folgen sollte. Vorerst begnügen wir uns mit dem Verweis auf diesen Beitrag.

Und apropos Apps: Die niederländische Wettbewerbsbehörde (Autoriteit Consument & Markt) gab jüngst bekannt, eine Untersuchung zu App-Stores zu starten. Insbesondere möchte sie das Verhältnis von App-Entwicklern und App-Store-Anbietern besser verstehen, um daraus Schlüsse für seine Vollziehungspraxis ziehen zu können.

Missbräuchliche Verhaltensweisen

Um Apps und App-Stores ging es auch in der jüngsten Entscheidung der Europäischen Kommission zu Google (Android). Nachdem die Europäische Kommission erst im Vorjahr eine bis dahin nie dagewesene Geldbuße über ein einzelnes Unternehmen (Google) verhängte, übertraf Google neuerlich den bereits gehaltenen Rekord: Rund EUR 4,24 Mrd Geldbuße soll es für verschiedene vermeintliche Zuwiderhandlungen im Zusammenhang mit seinem Android-Betriebssystem, insbesondere die Bündelung des Bezugs des „unverzichtbaren“ App-Stores mit weiteren Google-Apps, zahlen. Details zu den Anschuldigungen erklärt die Pressemitteilung der Europäischen Kommission. Der Gang in die Instanz erscheint freilich vorprogrammiert.

Zusammenschlusskontrolle

Auch im Bereich der Zusammenschlusskontrolle haben Gesetzgeber und Wettbewerbsbehörden bereits vor einiger Zeit auf die Digitalisierung reagiert. So wurde sowohl in Österreich als auch in Deutschland ein sogenannter Transaktionswert-Schwellenwert eingeführt, der dafür sorgen soll, dass der Erwerb von potenten innerstaatlichen Unternehmen der Digitalwirtschaft nicht ungeprüft bleibt (tatsächlich aber auch Unternehmen in völlig anderen Wirtschaftsbereichen, allen voran Unternehmen der Pharmaindustrie, erfasst). Weil die etwas unklare Formulierung der jeweiligen Gesetzesbestimmungen dies- und jenseits von Passau einige Fragen offenließen, haben nun die mit der Vollziehung der Bestimmung betrauten Wettbewerbsbehörden einen gemeinsamen Leitfaden erstellt, der die wichtigsten dieser Fragen – aus Sicht der Behörden – klären soll.

Ausblick

Sowohl Gesetzgeber als auch Vollziehungsorgane rüsten sich derzeit verstärkt für die Herausforderungen der Digitalisierung. Dass am Anfang dieser Entwicklungen oftmals Untersuchungen stehen, mithilfe derer sich die Behörden ein besseres Verständnis der Märkte und ihrer Funktionsweisen verschaffen wollen, darf als sensibler und begrüßenswerter Schritt gesehen werden. Ob das Urteil über weitere Schritte ähnlich ausfällt, bleibt abzuwarten.

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