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Über ein Recht auf Reparatur, Obsoleszenz und die Monopolisierung von Sekundärmärkten

von Johannes Hartlieb | 14.07.2018

Die zunehmende Komplexität vieler Geräte, insbesondere aber der vermehrte Einbau von – oft proprietärer – Software in Produkte des täglichen Lebens, wird zur Existenzbedrohung von Unternehmen, deren Geschäftsgegenstand in der Reparatur dieser Güter besteht. Neben konsumentenschutzrechtlichen Aspekten (Stichwort: „geplante Obsoleszenz“) weist dieses Phänomen auch eine wettbewerbsrechtliche Facette auf.

(c) pixabay.com

„If it’s broken, you can’t fix it“

Vor einigen Wochen thematisierte der Economist unter dem Titel „If it’s broken, you can’t fix it“ einen immer häufiger zu beobachtenden Umstand: Viele unserer Alltagsgegenstände – vom Auto über das Smartphone bis hin zur Waschmaschine – lassen sich nicht oder ausschließlich durch den Hersteller reparieren.
Konsumentenschützer und Interessensvereinigungen machen gegen diesen Trend sowie gegen die bewusste Verkürzung der Lebensdauer von Produkten („geplante Obsoleszenz“) mobil. Auf Ebene der Europäischen Union forderte das Europäische Parlament die Kommission kürzlich in einer (nicht bindenden) Entschließung auf, reparierbare Produkte zu fördern. Hierfür sollen bestehende Regelungen – etwa zum Gewährleistungsrecht – überarbeitet oder neue geschaffen werden. In diesem Zusammenhang wird auch davon gesprochen, dass durch die Verbreitung von intelligenten (Haushalts-)Geräten („smart devices“) die Verfügungsmöglichkeiten der Eigentümer beschränkt werden (Verwässerung des Eigentumsrechts – „watering down of ownership“). Ungeachtet der genannten Vorschläge lässt sich dieses Phänomen möglicherweise bereits jetzt rechtlich adressieren – und zwar mithilfe des Wettbewerbsrechts.

Anwendung des Wettbewerbsrechts: Ökonomische Ansätze und frühe Entscheidungspraxis

Die Konsumentenwohlfahrt stellt ein wesentliches Schutzgut des Wettbewerbsrechts dar. Die Anwendung der Wettbewerbsregeln soll verhindern, dass eines oder mehrere Unternehmen den Verbrauchern schaden, indem sie die Preise über ein kompetitives Maß erhöhen, die Produktauswahl senken oder deren Qualität verringern. Es besteht Einigkeit darüber, dass die Langlebigkeit von Produkten ein Qualitätsmerkmal darstellt und kürzere Lebenszyklen eine Preissteigerung bewirken können. Die Beschränkung der für eine Reparatur infrage kommenden Unternehmen führt zu einer Verringerung der Auswahl und in aller Regel ebenso mittelbar zu einem Preisanstieg. Auch eine gänzliche Monopolisierung des Sekundärmarkts für Reparaturen, der vom Primärmarkt für das jeweilige Produkt zu unterscheiden ist, ist denkbar, wenn durch abschottende Maßnahmen dritten Unternehmen der Zugang zu diesem Sekundärmarkt gänzlich unmöglich gemacht wird.
Diese ökonomischen Bedenken sind im wegweisenden Urteil des US Supreme Courts in der Rechtssache Kodak rechtlich abgebildet. Das Gericht hat dabei entschieden, dass ein Unternehmen auf einem nachgelagerten Markt auch dann über eine marktbeherrschende Stellung verfügen und durch unilaterales Handeln gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen könne, wenn es auf dem Primärmarkt keine derartige Stellung innehat. Beobachter erblickten darin eine Bestätigung der ökonomischen Theorien der sog. „Post-Chicago School“.
Auf der anderen Seite werden vielfältige Argumente gegen eine (zu weitreichende) Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Sekundärmärkte ins Treffen geführt: Zunächst schrecke dies Unternehmen von Investitionen und Innovationen ab. Weiters würden die starke Wettbewerbsposition und der damit einhergehende Preisspielraum der Unternehmen auf den Sekundärmärkten dazu führen, dass diese die Preise für die Primärprodukte niedriger ansetzen und dadurch vielen Verbrauchern zugänglich machen. Unternehmen kalkulierten nämlich einen sog. „Systempreis“ für die Primär- und Sekundärprodukte, der auch den Verbrauchern bekannt ist. Das gelte vor allem dann, wenn ein Unternehmen auf dem Markt für Primärprodukte nicht marktbeherrschend ist, da der Wettbewerb auf dem Primärmarkt für eine automatische Regulierung des Sekundärmarkts sorgt.
Die Entscheidung der Kommission in der Rechtssache Pelikan/Kyocera wird gemeinhin als Bestätigung dieser Argumente der „Chicago School“ angesehen. Dabei ging es um eine wettbewerbsrechtliche Untersuchung der Märkte für Druckerpatronen als nachgelagerter Markt von Druckergeräten. Die Kommission definierte zwar keinen gemeinsamen „Systemmarkt“ für Druckergeräte und Druckerpatronen, verwies jedoch auf die enge Verbundenheit dieser Märkte und auf die Bedeutung der Preise auf dem nachgelagerten Markt bei der Kaufentscheidung der Verbraucher.

Wettbewerbswidriges Verhalten

Während zu Beginn der 1990er Jahre die Entscheidungspraxis zu wettbewerbswidrigem Verhalten auf nachgelagerten Märkten in den USA strenger war als jene in der EU, hat sich das Blatt seither gewendet. Dabei hat sich eine facettenreiche Entscheidungspraxis herausgebildet: Unternehmerisches Verhalten auf Sekundärmärkten kann auf vielfältige Weise von den Wettbewerbsregeln der Art 101 Abs 1 und Art 102 AEUV erfasst sein.
Zu denken ist zunächst – neben dem Verlangen überhöhter Preise auf den nachgelagerten Märkten – an Koppelungspraktiken; exemplarisch sei die Verpflichtung zur Durchführung der Reparaturen beim Hersteller unter sonstigem Verlust des Garantieanspruchs genannt. In ihrer Mitteilung zu den Prioritäten bei der Anwendung des Art 82 EGV (heute Art 102 AEUV) führt die Kommission diesbezüglich aus, dass Kopplungspraktiken einen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln darstellen können. Voraussetzung dafür ist allerdings die Beherrschung des Primärmarkts. Auch nationale Wettbewerbsbehörden haben Koppelungspraktiken bereits als Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht bewertet, hier sei nur auf die Nespresso-Entscheidung der französischen Wettbewerbsbehörde („autorité de la concurrence“) verwiesen.
Aufgrund ihrer Abschottungswirkung problematisch sind auch Geschäftsverweigerungspraktiken. Diese können sich unter anderem in der Lieferverweigerung bestimmter Ersatzteile oder in der Verweigerung der Bekanntgabe technischer Informationen, die für die Erbringung von Leistungen auf den Sekundärmärkten erforderlich sind, manifestieren. Nach der bisherigen Entscheidungspraxis können marktbeherrschende Unternehmen jedoch nur unter besonders strengen Voraussetzungen zur Kontrahierung verpflichtet werden (sog. „essential facilities-Doktrin“).
Neben der Anwendung des Art 102 ist auch an Art 101 Abs 1 AEUV zu denken. Stimmen sich Unternehmen etwa über die Verkürzung der Lebensdauer ihrer Produkte ab, liegt der Verdacht eines verbotenen Kartells nahe. Gleiches gilt dann, wenn der Hersteller eines Primärprodukts, der auch auf dem Sekundärmarkt tätig ist, mit anderen Anbietern von Reparaturleistungen hinsichtlich der Preise oder auch der Gebiete und Kundengruppen abspricht. All diese Fälle setzen – im Gegensatz zur Anwendung des Art 102 AEUV – keine marktbeherrschende Stellung des Unternehmens voraus.

Mögliche Rechtfertigungen

Bei der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung sind mögliche Rechtfertigungen der handelnden Unternehmen zu berücksichtigen, insbesondere Effizienz- und Innovationsargumente. Weitere Rechtfertigungen können gesundheitliche Aspekte oder die richtige Verwendung des Produkts, die durch eine unsachgemäße Reparatur beeinträchtigt sein könnte, betreffen. Nicht zuletzt hat das EuG jüngst den Schutz des Markenimages von Uhrenherstellern als Rechtfertigungsgrund anerkannt. Weiterhin zulässig sind damit – unter den üblichen Voraussetzungen – selektive Vertriebssysteme. In diesem Kontext erachtete jüngst das EuG in der Rechtssache CEAHR/Kommission die Implementierung eines selektiven Vertriebssystems für die Reparatur von Luxusuhren bei Erfüllung der sog. „Metro-Kriterien“ als unproblematisch.

Einsatz von Verpflichtungszusagen

Aufgrund der gegenläufigen ökonomischen Argumente zur Anwendung des Wettbewerbsrechts auf Sekundärmärkte und der Schwierigkeit des Nachweises eines wettbewerbswidrigen Verhaltens haben Verpflichtungszusagen in der Praxis eine hohe Bedeutung erlangt. In der Rechtssache IBM-Wartungsdienste erachtete die Kommission das Verhalten von IBM auf dem nachgelagerten Markt für die Reparatur von IBM-Großrechnern als potentiell kartellrechtswidrig. Dieses bestand darin, dritten Unternehmen bestimmte Ersatzteile sowie Schnittstelleninformationen nur unter unangemessenen Bedingungen zur Verfügung zu stellen. Das Unternehmen wurde folglich zur Bereitstellung der Ersatzteile bzw. der Informationen verpflichtet.
Durch den Rückgriff auf – allerdings zeitlich befristete – Verpflichtungszusagen erspart sich die Kommission nicht nur eine komplexe Marktabgrenzung, sondern auch den aufwendigen Nachweis der Missbräuchlichkeit des unternehmerischen Verhaltens. Den Verbrauchern ist dadurch die Möglichkeit eingeräumt worden, ihre IBM-Großrechner auch durch dritte Unternehmen warten und reparieren zu lassen.

Fazit: Wettbewerbsrecht kein „Allheilmittel“

Im Ergebnis sind die eingangs beschriebenen Praktiken von Unternehmen überwiegend auch wettbewerbsrechtlich fassbar. Die Anwendung des Wettbewerbsrechts auf Sekundärmärkte ist allerdings ökonomisch umstritten und der Nachweis eines Verstoßes nur unter großem Aufwand zu erbringen. Dies beginnt bereits mit der komplexen Abgrenzung der nachgelagerten Märkte.
Insgesamt ist das Wettbewerbsrecht daher nur bedingt geeignet, ein umfassendes „Recht auf Reparatur“ zu gewährleisten. Es ist vielmehr als äußere Grenze des zulässigen unternehmerischen Verhaltens auf Sekundärmärkten, das eine allfällige Anpassung der Rechtslage an die geänderten wirtschaftlichen und technischen Rahmenbedingungen (Gewährleistungs- und Verbraucherschutzrecht, Umweltschutzaspekte) nicht ersetzen kann, anzusehen. Dementsprechend wurden in den USA bereits zahlreiche Gesetze zu einem „Recht auf Reparatur“ erlassen; in Frankreich drohen hingegen Strafen bei geplanter Obsoleszenz. Es bleibt abzuwarten, ob und inwieweit Rat und Kommission die eingangs genannte Entschließung des Europäischen Parlaments aufgreifen werden.

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